Der Ausschnitt aus dem 1809–1814 entstandenen Thun-Panorama zeigt links den Schlossberg mit der Kirche und der Helferei. Hinter dem Dach des Zunfthauses zu Oberherren sind das Lauitor und der Pulverturm zu sehen. Auf der gegenüberliegenden Aareseite folgt das Bälliz mit dem Freienhof, dem Sinneplatz und einem Gewerbequartier mit Stampfen und Mühlen. Am rechten Bildrand befindet sich das 1696–1698 erbaute Kornhaus, das bereits in der Helvetik ein erstes Mal als Kaserne gedient hatte. Davor steht die Seidenfabrik, die 1836 zum Waisenhaus umgebaut wurde.
Das Thun-Panorama von Marquard Wocher
Dominik ImhofIm ausgehenden 18. Jahrhundert entstand mit dem Rundpanorama eine neue Bildgattung, die in einer Zeit, in der Bilder im privaten und öffentlichen Leben noch spärlich zu finden waren, eine immense Faszination ausübte. Manch ein Gast soll angesichts der riesigen 360°-Bilder überwältigt in Ohnmacht gefallen sein. Der Maler Marquard Wocher (1760–1830) erkannte die wirtschaftlichen und künstlerischen Möglichkeiten der Panoramen. Der 1760 in Deutschland geborene Künstler war als Kleinmeister und Miniaturmaler ausgebildet worden. Für sein Panorama-Vorhaben, das er 1808 in Angriff nahm, hielt er sich mehrmals in Thun auf. Vor Ort fertigte er Dutzende Detailstudien von Figuren an. Von einem Hausdach an der Kreuzgasse aus zeichnete er detailtreue, grossformatige Skizzen, die er kolorierte. In der Basler Sternengasse liess er eine Rotunde bauen und begann dort 1809 mit der Arbeit. Das Panorama ist 7,5 m hoch und 38,3 m lang. Fünf Jahre verbrachte der Künstler damit, die 285 Quadratmeter zu füllen. Er kämpfte mit einigen Schwierigkeiten, übertrafen die Masse doch bei Weitem alles, was er bisher gemacht hatte. Die aufgespannte Leinwand verzog sich beim Malen. Deshalb überklebte er sie mit Papier, das er nun mit Ölfarben bemalte.
Stilistisch lehnte er sich an das an, was er bereits kannte, nämlich an die Kleinmeister und die Miniatur. Der Blick des Malers schweifte über die Dächer der damaligen Kleinstadt Thun, deren sonntägliche Welt sich entfaltete wie jene in einem Wimmelbild. Wocher hielt mehrere 100 Figuren fest, die unterschiedlichsten Tätigkeiten nachgehen. Als Kleinmeister konzentrierte er sich aber nicht nur auf das Thuner Stadtleben. Vielmehr nehmen die Landschaft und natürlich das Alpenpanorama einen wichtigen Platz ein. Schliesslich war Thun weltbekannt für diese erhabene Aussicht und Ausgangspunkt zahlreicher abenteuerlustiger Reisender. Aus diesem Grund hatte Wocher Thun als Motiv gewählt.
1814 konnte er das Panorama in Basel eröffnen. Die Kundschaft kam von nah und fern. Doch der anfängliche Erfolg nahm rasch ab, das Panorama geriet in Vergessenheit. Der wirtschaftliche Misserfolg ruinierte den Künstler beinahe. Nach Wochers Tod 1830 wechselten das Gebäude und das Bild mehrmals den Besitzer, bis das Gemälde beim Thuner Verschönerungsverein landete. Es wurde zuerst in der Aarefeldturnhalle, ab 1920 im Stadtbauamt gelagert. Erst in den 1950er-Jahren wurde das Bild, das sich inzwischen in einem schlechten Zustand befand, wiederentdeckt. Thuns Stadtbaumeister Karl Keller (1920–2003) entwarf ein Panorama-Gebäude im Schadaupark, das 1960/61 realisiert wurde. Seither ist das Panorama im Besitz der Gottfried Keller-Stiftung; es befindet sich als Depositum in der Sammlung des Kunstmuseums Thun. 2014 wurde das weltweit älteste noch existierende Panoramabild in aufwändiger Arbeit restauriert und zu neuem Glanz gebracht. Der nüchternen Backsteinrotunde wurde ein luftiger Erweiterungsbau angefügt.48