Die Stadt während der Mediation
In den folgenden zehn Jahren gab es einige Änderungen in Thuns Stadtbild. 1807 wurden der Zeitglockenturm und das daran angebaute Wirtshaus zum Löwen abgerissen. An Stelle des Wirtshauses wurde ein Salzmagazin gebaut. Die Stadt erteilte zudem mehrere Konzessionen für den Betrieb von öffentlichen Bädern in der Allmend und im Göttibach, die auch die Bewirtung von Gästen anboten. Auch während der Mediation besuchten illustre Gäste die Stadt Thun, darunter mehrere Personen aus dem europäischen Hochadel und Mitglieder der französischen Kaiserfamilie. Wenn die Besucher in Thun übernachteten, dann taten sie dies meist im Gasthof Freienhof. Besonders gross war der Andrang während der Unspunnenfeste 1805 und 1808, die auf dem Bödeli bei Wilderswil abgehalten wurden und zahlreiche ausländische Besucherinnen und Besucher anlockten. Carl Friedrich Ludwig Lohner (1786–1863) berichtete 1805 in seiner Thuner Chronik von einer «ununterbrochenen Reihe von Kutschen» zwischen dem Freienhof und dem Gasthof Zum weissen Kreuz.45
Die anonyme Gouache aus dem Jahr 1804 zeigt den Gerichtsweibel von Thun, mit der handgeschriebenen Legende «Trachsel, Hutmacher Profos und Ausruffer zu Thun».
Ein Profos war ein Gerichtsweibel; der Ausrufer hatte die amtlichen Verordnungen auf der Strasse bekannt zu machen. Er zog die Aufmerksamkeit auf sich, indem er beispielsweise mit einer Glocke läutete oder in ein Horn blies.
In dieser Zeit betraf die nachhaltigste Reform in der Stadt die Schulen. Während der Helvetik hatte Minister Stapfer diesbezüglich grosse Reformpläne ins Auge gefasst. Die von ihm initiierte Erhebung zum schweizerischen Schulwesen, die sogenannte Stapfer-Enquête, ist eine historische Quelle von unschätzbarem Wert – auch in Bezug auf die Thuner Schulen. Die kurze Dauer der Helvetischen Republik liess aber keine wirklichen Reformen zu. Zudem gab es in Thun Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Gemeindekammer, der 1800 gegründeten Schulkommission und dem Erziehungsrat des Kantons Oberland.46 Die Neuorganisation der Schulen geschah erst während der Mediation. 1803 wurde eine Kommission bestimmt, die bei Geistlichen und Lehrern Vorschläge zur Verbesserung der Thuner Schulen einholte. So legte Pfarrer Carl Friedrich Tribolet (1767–1828) einen umfangreichen Reformplan vor. Indem er von der Lebenswelt der Kinder ausging und jede Schule als Vorstufe der nächsten betrachtete, orientierte er sich an neuen pädagogischen Ideen. Neben der Literarschule (Lateinschule) auf dem Schlossberg schlug er als Ausbildung für zukünftige Handwerker eine sogenannte Kunstschule vor. Tribolet sprach sich auch für eine verbesserte Ausbildung der Mädchen aus. Der Lateinlehrer Bernhard Studer (1763–1828) hingegen lehnte in seinem Reformprojekt eine Trennung in Literar- und Kunstschule ab. Umgesetzt wurde schliesslich der Vorschlag Studers, allerdings mit Tribolets Fächerkatalog. Vorgesehen waren nun sechs Lehrkräfte: zwei Lehrer für die Elementarklassen, ein Mittellehrer und ein Lehrer der Lateinschule sowie zwei Lehrerinnen für die Mädchenschule. Daneben gab es Lehrpersonen für Schreiben und Singen. Als Schulraum diente das Spital am Rathausplatz, das seinerseits ins Waisenhaus an der Bernstrasse umgezogen war. Hier, im Platzschulhaus, wurden auch die Waisenkinder untergebracht. Die neue Schule wurde am 1. Juli 1806 feierlich eingeweiht. Das grösste Verdienst der Reform war die Erweiterung des Fächerkanons: Neu waren die Fremdsprache Französisch, Geschichte, Geografie, Naturlehre und Technologie. 1809 entstand schliesslich im Bälliz noch eine Gemeindeschule für die Kinder der Hintersässen, die bisher in Hofstetten unterrichtet worden waren.47