Die Selve: vom «Thuner Underground» zur Partymeile
Mit der Schliessung der Selve-Fabrik entstand 1993 in Thun erneut eine zentral gelegene Industriebrache. Die Fabrikations- und Lagerhallen blieben nicht lange leer. Künstlerinnen und Künstler zogen ein; Musikschaffende richteten Übungsräume ein und auch Gewerbetreibende liessen sich auf dem Areal nieder. Zahlreiche Clubs und halblegale Bars entstanden. «Die Selve wurde Anfang der Neunziger zu einer Art ‹Thuner Underground›», erinnert sich der Fotograf Christian Helmle (geb. 1952).65 Strahlte der Hochkamin bei der Halle 6 gelbes Licht in den Nachthimmel, war die Opus-Bar geöffnet. «Rund um die Uhr herrschte Betrieb», resümiert Guntram Knauer (geb. 1948), ehemaliger Leiter des Thuner Stadtplanungsamts. «Wenn die letzten Gewerbler nach ihren Überstunden das Areal verliessen, strömten die ersten Erlebnishungrigen hinein.»66 Die Partymeile war von nationaler Ausstrahlung und zog an den Wochenenden bis zu 20 000 Besucherinnen und Besucher an.
Silvesterparty in der Giessereihalle auf dem Selve-Areal, 1997. Fotografie von Christian Helmle.
Doch an Silvester 2007 war ausgetanzt, denn nun entstand auf dem Areal ein neues Stadtquartier. Der Verlust der Freiräume, den viele Junge und Kulturschaffende bedauerten, konnte mit Hilfe der Stadt teilweise kompensiert werden. Künstlerinnen und Künstler bildeten den Verein Atelierhaus, um das ehemalige Kontroll- und Bürogebäude der Armee zu übernehmen. Obwohl die Besitzerin, die Ruag, anfänglich skeptisch war, vermietet sie seit 2004 dem Verein das Gebäude. Das Vorhaben konnte nur dank dem Rückhalt der Stadtbehörden realisiert werden. Ausserdem entstand 2013 auf Initiative einer Gruppe junger Leute das nichtkommerzielle Kulturzentrum AKuT, dem die Stadt Räumlichkeiten in einem alten Bierdepot an der Seestrasse zur Verfügung stellte. Auf dem Selve-Areal selber befindet sich heute in der erhalten gebliebenen Produktionshalle mit ihren Nebenbauten die Konzepthalle 6, in der nach wie vor kulturelle Veranstaltungen stattfinden.67
«Thun preist die Kultur»: Am alljährlich wiederkehrenden Anlass verleiht die Stadt die Kulturpreise.
2015 erhielt der Saxofonist Jonas Tschanz (geb. 1986) den Kulturförderpreis.