Strassen
Ein weiterer Konfliktherd war die gegenseitige Nutzung von zivilen und militärischen Strassen. Besonders deutlich zeigt sich die Gemengelage an der Kasernenstrasse: Der Bund verpflichtete sich, sie anzulegen, das Trottoir zu verbreitern und bestehende Durchfahrtsrechte zu respektieren, wenn die Gemeinde das zur Verbreiterung nötige Land ankaufte und dem Bund zur Verfügung stellte.50 Mit dieser Abmachung waren spätere Streitigkeiten rund um den Unterhalt der Strassen vorprogrammiert. Die Situation verschärfte sich vor allem im 20. Jahrhundert, als militärische Fahrzeuge immer schwerer wurden und gemeindeeigene Strassen beschädigten.
Vor allem die Allmendstrasse gab wiederholt Anlass zu Diskussionen. Sie wurde vom Militär ausgesprochen stark beansprucht, befand sich jedoch im Besitz der Stadt. Diese versuchte, vom Bund Unterhaltsbeiträge zu erhalten, was dieser in Einzelfällen auch gewährte. Allerdings waren diese Beiträge an Mahnungen wie die folgende gekoppelt: «Dieser Beitrag wird aus Billigkeitsrücksichten geleistet, indem der Bundesrat einen Rechtsanspruch der Gemeinde Thun auf die Verabfolgung eines Beitrages an die Kosten des Unterhaltes der Allmendstrasse nicht anerkennt.»51 Wollte die Stadt von sich aus Unterhaltsarbeiten vornehmen, musste sie jedoch immer auch die Bedürfnisse der Armee berücksichtigen. Als sie 1916 für die Allmendstrasse eine Beleuchtung einrichten wollte, verpflichtete der Bund sie, die Masten für die Lampen möglichst nahe an den Bäumen zu errichten, die Lampen in die Strassenmitte zu hängen und keine Kabel oberirdisch zu führen, damit durch Beschuss keine Schäden entstanden. 1922 kamen weitere Bedingungen dazu: Leitungen, die auf die Bäume führten, mussten tagsüber stromlos sein, weil die Bäume gelegentlich als Beobachtungsposten dienten und weil die Artillerieübermittler dort selbst Leitungen anbrachten. Zudem durften die Bäume nicht beschädigt werden.52 Als Thun die Strasse 1934 asphaltieren wollte, redete der Bund wieder mit: «(deshalb) erachten wir den von der Gemeinde Thun vorgesehenen Makadambelag für das Strassenstück Rampe Allmendstrasse bis Einmündung Militärstrasse für unserenstarken Verkehr mit Wagen und Reitern auf dieser Strecke nicht besonders zweckmässig, da die Gefahr des Ausglitschens der Pferde auf den meistens sehr glatten Makadamstrassen grösser ist als bei einem andern Strassenbelag, z.B. Kleinsteinpflästerung. Gegen den für die Strecke Einmündung Militärstrasse bis Wirtschaft Zollhaus vorgesehenen Betonbelag dürfte nichts einzuwenden sein, sofern die gleiche Ausführung wie z.B. bei der Papiermühlestrasse in Bern gewährleistet wird.»53 Thun trug als Eigentümerin der Strasse zwar die Kosten, musste aber die Auflagen des Bundes berücksichtigen. Dies änderte sich erst 1949, als der Bund eine Unterhaltspflicht für aussergewöhnlich beanspruchte Strassen anerkannte. Da das Militär auch zahlreiche weitere Wege benutzte, welche der Stadt oder der Burgergemeinde gehörten, wurden viele weitere Abmachungen über Wegrechte und Unterhaltsbeiträge nötig.54
Das umgekehrte Problem stellte sich, wenn Zivilisten militärische Strassen benützten, was zu Beginn nicht klar geregelt war. Zuerst mussten alle Wegrechte abgelöst werden, welche es Privaten gestatteten, die Verbindungen durch die Allmend zu benutzen. Um das möglich zu machen, verlegte der Bund 1876 ein Stück der Amsoldingen-Thierachern-Strasse hinter die Artillerie- Schusslinie.55 Auch später gab diese Strasse immer wieder zu reden. Trotz Verbot benutzte die Bevölkerung sie weiterhin. Aus Sicherheitsgründen beharrte die Waffenplatzverwaltung darauf, dass niemand die Strasse während Schiessübungen beging.56 In Thun gab es vor allem im Bereich zwischen der Polygon-, der Militär- und der Rütlistrasse Probleme; die Allmendquerung von der Allmendstrasse Richtung Burgerallee wurde verbotswidrig rege genutzt. Zumindest das Fahrverbot auf der Polygonstrasse setzte die Armee schliesslich durch; bei der Allmendquerung fanden die Behörden die Lösung im Bau der General-Wille-Strasse, welche es erlaubte, den zivilen und den militärischen Verkehr völlig zu trennen.57 Mit dem 2017 fertiggestellten Bypass Thun Nord nahm der Verkehr auf der General-Wille-Strasse und der Burgerstrasse zu, da Automobilisten, die Thuns Westen anpeilen, direkt dorthin anstatt durch die Stadt geleitet werden. Die eigens dafür gebaute Alpenbrücke und die angrenzenden Strassenstücke führen durch das Waffenplatzareal.
