Liberaler Neubeginn: die Konstituierung der Einwohnergemeinde
Weil die burgerliche Stadtverfassung weiterhin die nichtburgerlichen Einwohner von der politischen Mitsprache ausschloss, widersprach sie dem kantonalen Dekret über die Erneuerung der Gemeindebehörden von 1832, welches die Einführung von Einwohnergemeinden verlangte. Deswegen wies die Kantonsregierung diese Verfassung zurück. Sie verlangte die Schaffung von zwei Gemeinden, die parallel nebeneinander existierten: einerseits der Burgergemeinde und andererseits der politisch massgebenden Einwohnergemeinde, der alle stimmberechtigten Gemeindebürger, ob burgerlich oder nichtburgerlich, angehörten. Am 29. August 1832 konstituierte sich auf der Basis des genannten kantonalen Dekrets die Einwohnergemeinde Thun als politisches Organ und wählte danach den ersten Einwohnergemeinderat.15
Drei Jahre später erliess die Versammlung der Einwohnergemeinde eine Stadtverfassung, die auf dem kantonalen Gesetz von 1833 über die Organisation und die Geschäftsführung der Gemeindebehörden beruhte. Von nun an befand die Einwohnergemeindeversammlung als Legislative über Wahlgeschäfte, Gegenstände der Gemeindeverwaltung, die Rechnungsführung, Fragen der Besteuerung und Immobilien. Der damals noch 25 Mitglieder zählende Einwohnergemeinderat war als Exekutive zuständig für den Vollzug der Beschlüsse der Gemeindeversammlung. Er kümmerte sich um Fragen des Schulwesens, der Ortspolizei, der Armenfürsorge, der Verwaltung des Gemeindeguts und regelte Personalien wie die Wahl des Polizeiinspektors und des Säckelmeisters. Kommissionen, die zum Teil mit Mitgliedern des Gemeinderates bestückt waren, steuerten die Verwaltungsbereiche.
Allerdings blieb die liberale Demokratie in Thun wie im Kanton eine Demokratie der Wenigen: Zwar beseitigte die neue kantonale Verfassung von 1846 formal den beschränkten Zugang zum Stimm- und Wahlrecht, doch ein Teil der Bevölkerung blieb aufgrund des restriktiven kantonalen Gesetzes über das Gemeindewesen von 1852 weiterhin davon ausgeschlossen. Thun knüpfte im 1853 erlassenen Reglement daran an und verband das Stimm- und Wahlrecht unter anderem mit Steuerleistungen, Burgerrecht oder Ansässigkeit und grenzte so Armengenössige und mobile Unterschichten wie den Dienstbotenstand weiterhin aus.16
Analog zur Einwohnergemeinde bestand auf Seiten der Burger die Stadtverwaltung (ab 1834 Burgerrat) als Exekutive und die Versammlung der Burgergemeinde als Legislative. Diese war die Wahlbehörde für die auf sechs Jahre gewählten 31 Burgerräte sowie für die Kommissionsmitglieder und Beamten. Die Burgergemeinde steuerte ihre Verwaltung ebenfalls über ein Kommissionensystem, war für die Burgergüter zuständig und fungierte als Vormundschaftsbehörde für die Burger. Eine wichtige Körperschaft innerhalb der Burgergemeinde war die Korporation des Vereinigten Familienguts, die Nachfolgerin der Allmend- und Alpkorporation, die einen Teil der Burgergüter separat verwaltete.17
