Konsensfindung als Mittel der Politikgestaltung
Im Dezember 1990 gewann die SP zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder die Mehrheit im Gemeinderat und erneut das Stadtpräsidium; sie behielt die Mehrheit bis 1998 und das Präsidium bis 2010. Der Nachfolger Eggenbergs, der Sozialdemokrat Hansueli von Allmen (geb. 1946), war zuvor acht Jahre lang Gemeinderat, gleichzeitig Grossrat und zwischen 1995 und 1999 Nationalrat. Er setzte sich im zweiten Wahlgang gegen den SVP-Politiker Walter Schläppi (geb. 1932) durch, der seit 1987 im Gemeinderat war. Die beiden Politiker beabsichtigten, die bisherige Thuner Konsenspolitik weiterzuführen. Diese war, wollte man politisch gestalten, ohnehin ein Gebot der Vernunft. Die zahlreichen Parteien im Stadtrat wiesen ein breites politisches Spektrum auf, weder die SP noch die FDP und SVP hatten eine Mehrheit.
Im Wahlkampf von 1994 hob Hansueli von Allmen in seiner Bilanz der vorangegangenen vier Jahre denn auch die erfolgreiche Zusammenarbeit der Parteien hervor: «Wir haben keine einzige Volksabstimmung verloren, da kann man weit suchen bei einer SP-Mehrheit im Gemeinderat und einer bürgerlichen Mehrheit im Parlament.»82 Dem damaligen Herausforderer von Allmens, Melchior Buchs (geb. 1956), fiel es sichtlich schwer, sich wahlkampftauglich abzugrenzen. Eines seiner Hauptargumente war, die SP-Mehrheit im Gemeinderat habe der Wirtschaft zu wenig den Vorrang gegeben. Auf die ersten zehn Jahre des 21. Jahrhunderts blickte von Allmen am Ende seiner Amtszeit als Stadtpräsident allerdings eher kritisch zurück: Aggressive Töne hätten nun zuweilen die Sachpolitik überlagert, das Zusammenspiel zwischen den Räten habe weniger gut als früher funktioniert, die über die Parteigrenzen hinweg erfolgende Konsenssuche sei seltener geworden. Als grösste Herausforderung in seiner Amtszeit bezeichnete er die Krise Anfang der 1990er-Jahre – den geballten Verlust zahlreicher Arbeitsplätze und die Schliessung der Spar- und Leihkasse Thun.83
